Was uns Kunst wert ist
Andrea Dee
Im Februar 2015 wurde in London das Gemälde „Abstraktes Bild“ von Gerhard Richter (Entstehungsjahr 1986) um 41 Millionen Euro versteigert – ein bis dahin unerreichter Höchstpreisfür zeitgenössische Kunst. Zeitgleich ging Paul Gauguins 1892 entstandener Südseetraum „Nafeafaaipoipo“ als teuerstes überhaupt je verkauftes Stück Malereium 260 Millionen von Basel nach Katar. Und sogar im kleinen Österreich haben in jüngster Zeit Kunst-Rekordausgaben von Privaten und der öffentlichen Hand Schlagzeilen gemacht.
Das Artbusiness boomt wie nie zuvor – auch auf dem Ausstellungssektor: Ein Besucherrekord jagt den nächsten, egal ob Hunderttausende ins Wiener Belvedere oder Millionen ins Guggenheim-Museum strömen.
Schön, dass Kunst heute so vielen so viel wert ist. Aber sind es tatsächlich Kunstwerke, denen die Wertschätzung der Sammler und des Publikums gilt?
Was erwerben die Ölmilliardäre und Investment-Konsortien bei Sotheby’s und Christie’s, was bewundern die Massen, wenn sie an Monets „Seerosen“ oder Schieles nackten Körpern vorbeidefilieren? Den sezierenden Blick eines Ausnahmegeistes auf die Wirklichkeit? Den nach Wahrheit suchenden Kommentar eines Genies zur menschlichen Befindlichkeit? Öl und Acryl auf Leinwand als Spiegel der Zeit? Vielleicht, vielleicht auch nicht.
Erhellend mag ein Blick auf das ebenfalls boomende Phänomen des Internet-Kunsthandels sein. Laut einer Studie des Kunstversicherers Hiscox nennen zwei Drittel der www-Kunstkäufer Investment als Hauptmotivation. Finanzexperten warnen bereits vor einer „Kunst-Blase“ – platzt die, könnte sich der Wert manch teuer erkauften Werks in nichts auflösen.
Mit dem „Wert“ von Kunst ist es eben so eine Sache. Was sind Kunstwerke wert und warum?
Grundsätzlich gilt: Der Wert von Kunst ist das Ergebnis einer gesellschaftlichen Übereinkunft. Dass selbst „unschätzbare“ antike Kunstwerke gegebenenfalls gar nichts wert sind, zeigen aktuell die Terrormilizen des Islamischen Staates, wenn sie vor laufender Kamera jahrtausendealte Artefakte der Sumerer und Babylonier demolieren.
Genaugenommen ist das Wissen darum, dass der Wert von Kunst relativ ist, der Moderne ja seit Dada inhärent – spätestens seit Marcel Duchamp unter dem Pseudonym R. Mutt 1917 in New York ein Urinoir ausstellte.
Dessen ungeachtet bleibt aber der Umstand, dass irgendjemand bereit ist, für dieses oder jenes Artefakt eine Unsumme zu bezahlen und für ein anderes nicht. Warum? Weil es ihm gefällt? Weil er es für eine wichtige Station in der Evolution unseres Geisteslebens hält?
Mag sein, doch die oben angesprochenen Rekordergebnisse sind offensichtlich auf die seit den 1980er-Jahren – dem per Selbstdefinition Beginn des „Zeitalters der Gier“ – immer wichtigere Rolle von Kunst als „Geldanlage“ zurückzuführen.
Und wie bei anderen Spekulationsobjekten auch ergibt sich der Geldwert eines Kunstwerks aus dem von Interessen gesteuerten Spiel des Marktes. Geschaffen wird dieses Geschäftsareal durch Machtstrukturen des Kunstbetriebes, Medienhype und Protektionismus – die, welche es besetzt halten, achten penibel darauf, es von Konkurrenzprodukten frei zu halten. Nur die Beschränkung der Ware durch Monopole garantiert den Wert derselben – und den Investoren wird Sicherheit geboten durch Etablierung des jeweils Kunstschaffenden als „Marke“.
Doch wie es bei dialektischen Prozessen einmal so ist, wirkt dieser Paradigmenwechsel auf die Kunst selbst zurück. Die Möglichkeit, für etwas Farbe auf Leinwand Unsummen zu ergattern, schafft notwendigerweise Begehrlichkeiten – bei Händlern, Kuratoren und Kunstschaffenden gleichermaßen.
Bezeichnenderweise ist in Kunstrezensionen und in Interviews mit Künstlern heute nur mehr bedingt von Inspiration, Intention und künstlerischer Message die Rede – immer breiteren Raum wird hingegen den Finanzen gegeben: Welche Preise erzielen die eigenen Werke, wessen Werke erzielen höhere Preise und warum. Der Marktwert hat den ideellen Wert als Bewertungskriterium längst abgelöst.
Wenn Gauguins heiratswillige Polynesierinnen von Basel nach Katar übersiedeln, wird de facto eine Überweisung getätigt, und wenn Millionen die Museen und Galerien stürmen, tun sie das, um Geld zu sehen – selbst wenn dort nicht Andrej Warholas 2009 um 43,8 Millionen Dollar versteigerte „200 One Dollar Bills“ an der Wand hängen.
Ist das schlecht? Schadet es der Kunst? Wahrscheinlich nicht wirklich.
Gerade weil Kunst keinen objektiven Wert besitzt, erwirbt sie ihren Wert einzig und allein im Prozess gesellschaftlichen Austausches. Kunst ist immer das, worüber sich die Gesellschaft einig ist.
Und wenn – wie heute – der wahre Wert von Kunst darin besteht, eine Ware im globalen Spiel der Spekulation zu sein, dann ist Kunst eben das.
Schließlich hatte sie im Lauf der Geschichte bereits zahlreiche Funktionen: den Dienst an der Religion, die Glorifizierung von Machtverhältnissen, Kritik an Gott und der Welt, Selbsterkenntnis.
De facto waren Kunstwerke – gleich ob Farbe auf Leinwand, behauener Stein oder sonstige Artefakte – immer banaler Krimskrams: Ihre Bedeutung, ihren Wert, erhielten sie durch ihre, ihnen von gesellschaftlichen Machtblöcken zugeordnete, Funktion.
Wenn diese Machtblöcke heute darin übereinkommen, dass Kunst – brutal auf den Punkt gebracht – Krempel ist, der Geld werden will, dann ist das eben so.
Im gesellschaftlichen Wechselspiel wird sie diesen, ihren Auftrag erfüllen. Und damit ganz nebenbei ihre nobelste Bestimmung finden: ein erhellendes Schlaglicht auf die Conditio humana zu werfen – auf eine Befindlichkeit, in der aktuell das Haben das Sein in sämtlichen Lebensbereichen in den Schatten verweist.
Aber sie wird gleichzeitig auch einen ganz anderen Raum eröffnen – für eine Kunst, die sich genau dieser Rolle als Spekulationsobjekt entzieht und sie eben dadurch transparent macht.
Also: Keine Sorge, es bleibt spannend – dank jener Kunstschaffenden und Kunstrezipienten, die der Ware Kunst wahre Kunst entgegensetzen.